Ich habe kürzlich das Buch „Farm der Tiere“ gelesen. Dabei fühlte ich mich an einige Dinge erinnert, die auch heute in Politik und Gesellschaft vor sich gehen. George Orwell hatte das Buch 1945 als Warnung vor einer Wohlfahrtsdiktatur wie beispielsweise der Sowjetunion geschrieben. Hier haben Tiere einen Farmer enteignet, um auf seinem Hof ihr eigenes System – vermeintlich zum Wohle aller – zu errichten. In diesem Reich lautete eine Grundregel: „Alles was auf zwei Beinen geht, ist ein Feind. Alles was auf vier Beinen geht oder Flügel hat, ist ein Freund“.
Wissen wir nicht selbst, was gut und was schlecht für uns ist?
Diese kategorische Einordnung in das, was gut ist, und das, was schlecht ist, erleben wir heutzutage auf’s Neue. Es geht nicht mehr um Zwei- oder Vierbeiner, sondern beispielsweise um die Ernährungs-gewohnheiten: „Vegetarier-Sein gut – Fleisch-Essen schlecht“, „Fahrrad fahren gut – Auto benutzen schlecht“, „einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn gut – regional- und branchenspezifische Mindestlöhne schlecht“.
Ist Deutschland nicht zu vielfältig, um alles zu vereinheitlichen?
Kategorisch zu urteilen ist gefährlich: Ein Mindestlohn in München müsste sicherlich anders aussehen als ein Mindestlohn in Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein. Während die Unternehmen in der einen Region für gute Arbeit mehr bezahlen könnten, würde derselbe Mindestlohn die Finanzkraft von Unternehmen in einer strukturschwachen Region übersteigen. Ein Mindestlohn wäre – frei nach Walter Eucken – nur dann gerechtfertigt, wenn bei sinkenden Löhnen das Angebot an Arbeitskräften ansteigt. Eucken begründet es damit, dass eine Person nicht mehr alleine in der Lage ist, eine Familie zu ernähren und daher mehrere Familienmitglieder arbeiten gehen müssten.
Führt man dennoch zentrale Regelungen ein, zeigt es nur eines: Die Politik handelt kategorisch und nimmt den Tarifparteien Ihre Freiheit selbst faire Löhne auszuhandeln. Inwiefern Löhne fair sind, kann der Staat ohnehin nicht bestimmen, da er nicht den subjektiven Nutzen kennt, den einzelne Menschen von angebotenen Leistungen haben (lesen Sie dazu den Artikel „Gibt es den gerechten Preis?“ im INSM-Blog).
Man mag sich fragen, um was für eine Diskussionskultur es sich in diesem Lande handelt. Es werden von Machtzentren gedankliche Fronten errichtet, die wie kategorische Imperative daherkommen. Ist das einer Demokratie zuträglich? Ich persönlich habe Angst vor solchen Besserwissern (Friedrich August von Hayek hätte von einer Anmaßung von Wissen gesprochen) und hoffe sehr, dass man in ganz vielen Dingen wieder zum Dialog zurückkehrt.
Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Sokrates
So sagte doch schon Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Das hört sich doch ganz anders an als „Ich weiß, was gut für Euch ist.“ Letzteres Denken scheint aber immer mehr Platz zu greifen. Die Mehrheit soll durch die Entscheidungen einer Zentralstelle dominiert werden, ohne die gewachsenen Strukturen der dezentralen Entscheidungsorgane wie Gewerkschaften und andere Verbände zu berücksichtigen.
Zentrale Entscheidungen nehmen vielen Gruppen die Autonomie
Dieses ist gerade mit der sozialen Marktwirtschaft unvereinbar, die durch Denker wie Wilhelm Röpke und Alfred Müller-Armack stets das dezentrale Element dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung betont haben. Natürlich, es ist Wahlkampf und Politiker kommen mit zugespitzten Formulierungen daher. Doch ist es bezeichnend, dass man mit einer den Föderalismus berücksichtigenden Argumentation keinen Erfolg mehr zu haben glaubt. Für die Bundespolitik wäre eine stärkere Zentrierung natürlich sinnvoll, wird man doch lästige Mitdiskutanten los und erhöht seine eigene Machtfülle. Für eine funktionierende föderale Gesellschaft taugt dieses freilich nicht – das gilt insbesondere für Mindestlöhne, auf die Unternehmen bei wirtschaftlichen Schwankungen nur noch mit Entlassungen oder der Vergabe von kurzfristigen Werkverträgen reagieren könnten.
Was bleibt zu tun?
Man sollte den Menschen wieder mehr Entscheidungsfreiheit zutrauen und gewähren. Die Politik weiß eben doch nicht immer besser, was gut für jeden einzelnen ist. Auch George Orwell sah diese Gefahr: Menschen und Tiere werden sich immer ähnlicher. Die Schweine erheben sich über die anderen Tiere, zuletzt kann man gar nicht mehr zwischen Tierdiktatur und menschlicher Knechtschaft unterscheiden.