Interview mit Dr. Carsten Dethlefs, Wirtschaftswissenschaftler und Autor
Wann waren Sie Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung?
Ich war vom 1. April 2010 bis Ende März 2013 Promotionsstipendiat der Konrad-
Adenauer-Stiftung.
Haben sich viele Kontakte aus dieser Zeit gehalten?
Ja, auch Dank der sozialen Medien stehe ich nach wie vor mit vielen ehemaligen Konstipendiaten überall auf der Welt in Kontakt.
Was haben Sie aus Ihrer Stipendiatenzeit sonst noch mitgenommen?
Ich habe bei den obligatorischen Seminaren einige inhaltliche Dinge gelernt. Vor allem aber habe ich etwas über die Abläufe und die Kommunikation in der Politik und im
akademischen Betrieb gelernt. Die KAS ist ja stets bemüht, ihre Stipendiaten mit Funktionsträgern unterschiedlichster Art zusammenzubringen. Das hat mir gefallen.
Gibt es ein Seminarerlebnis, an das Sie sich besonders gern zurückerinnern?
Ich habe vom 31. März bis 2. April 2012 selbst ein Seminar zum Thema „Soziale Marktwirtschaft und kleine Einheiten“ in meiner Heimat – genauer gesagt in Büsum – veranstaltet. Ich war sehr stolz, Menschen von überall aus Deutschland meine Heimat und die Nordsee zeigen zu können.
Sind Sie im Altstipendiatenbereich oder in anderer Weise für die Stiftung aktiv?
Seit kurzem bin ich jetzt offiziell Altstipendiat und habe Zugang zu den entsprechenden Netzwerken. Bisher hat sich dort aber noch nichts ergeben. Allerdings war ich Ende Oktober in Dresden und durfte dort beim Bildungswerk der KAS über „Soziale Gerechtigkeit zwischen Wohlfahrtsstaat und Nachtwächterstaat“ referieren. Gerne würde ich – gerade mit meinem Dissertationsthema der sozialen Gerechtigkeit – auch darüber
hinaus für die Stiftung aktiv sein. Hier könnten ansonsten andere Parteien die Christdemokratie vermeintlich überflügeln.
„Bleibe nicht unter Deinen Möglichkeiten!“ – So lautet der Wahlspruch auf Ihrer Homepage (www.carsten-dethlefs.de). Was bedeutet dieser Satz für Sie?
Dieser Wahlspruch hat sehr persönliche Wurzeln. Ich hatte es häufig erlebt, dass Leute mir aufgrund meines Handicaps – der physischen Blindheit – wenig zutrauten. Das hat mich sehr gestört. Jetzt habe ich es zumindest schon einmal zu einem Doktortitel gebracht. Ich möchte aber, dass auch andere Menschen in einer schwierigen Situation an sich glauben, um etwas aus sich zu machen. Man darf sich eben nicht zu leicht von
Schwarzsehern verunsichern lassen.
Darüber hinaus habe ich das starke Gefühl, dass meine Heimatregion weit unter ihren Möglichkeiten bleibt. Egoismen statt Kooperationen hemmen die Entwicklung in Dithmarschen auf vielen Ebenen. Dithmarschen kann hierbei aber sicher stellvertretend für viele andere Regionen in Deutschland und Europa stehen. Aus diesem Grund habe ich diesen Imperativ als Spruch auf meine Seite gesetzt. Sie setzen sich für eine integrierte Gesellschaft ein, die „jeden Menschen als gleichwertiges und wertvolles Subjekt“ begreift.
Was heißt das und wie sieht solch eine Gesellschaft aus? Ist diese bereits verwirklicht oder wo sehen Sie Nachholbedarf? Wie kann der Weg dorthin gelingen?
Wie ich bereits eben sagte, bleibt jede Gesellschaft unter ihren Möglichkeiten, die nicht zielführend kooperiert. Grundlage hierfür ist es, dass man jeden Menschen als gleiches und freies Subjekt begreift, das jederzeit Entwicklungsmöglichkeiten besitzt. Hier ist also jeder Mensch zugleich Subjekt und Kooperationspartner in einer Gesellschaft – er ist integriert. Verwirklicht ist eine solche Gesellschaft sicher noch nicht. Man sollte aber
anfangen, in seinem persönlichen Umfeld und im Rahmen seiner/ihrer Möglichkeiten für dieses Gesellschaftsideal zu kämpfen. Man kann es sich im internationalen Wettbewerb nicht leisten, Ressourcen brachliegen zu lassen. So würden auch viele schlechte Gedanken überflüssig werden, wenn ein jeder merkt, dass er oder sie gebraucht wird. Ob dieses Ideal jemals zur Gänze erreicht wird, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass in einer freiheitlichen Gesellschaft, niemand zur Gänze stark oder schwach ist. Jedermann kann etwas zum Gelingen des gesellschaftlichen Ganzen beitragen. Besitzstandswahrer und Kartelle haben es in einer solchen Gesellschaft dann zu Recht
schwer.
(Eigen-)Verantwortung innerhalb der Gesellschaft übernehmen – ist dies eine Forderung, die jeder erfüllen kann oder an deren Erfüllung Menschen umgekehrt gar gehindert werden?
Jeder Mensch kann in einem gewissen Umfang Eigenverantwortung übernehmen – der eine mehr, der andere weniger. Gehindert wird man häufig durch staatliche Leistungen, die zum einen die Bequemlichkeit fördern und zum anderen die Menschen denken lassen, dass der Staat sich schon um alles kümmere und man selbst nichts tun müsse. Ein solches Denken führt aber nicht weiter.
Sie sind Wirtschaftswissenschaftler und haben zum Thema „Soziale Gerechtigkeit in Deutschland“ promoviert. Angesichts der Debatten zu Bildung, Armut, der sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung, in denen der Begriff häufig benutzt wird, erscheint dies als eine immer dringlichere Fragestellung. Lebt es sich in Deutschland gerecht? Was verstehen Sie unter „Gerechtigkeit“, wie kann dieser schillernde Begriff definiert werden?
Ich denke schon, dass es sich in Deutschland gut und gerecht leben lässt. Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass es den Begriff der Gerechtigkeit schlechthin gar nicht gibt. Es gibt eine egalitaristische und eine non-egalitaristische Gerechtigkeit. Kurz gesagt: Im Egalitarismus wird der Armuts- bzw. Reichtumsbegriff immer in Abhängigkeit von anderen Menschen definiert. Wenn also ein Mensch mehr hat, muss ein anderer im
Verhältnis zu diesem Menschen auch mehr haben. Im Non-Egalitarismus orientiert sich die Gerechtigkeit an absoluten Werten. Also, wenn es mir gut geht, reicht es aus, was ich habe. Dann ist mir egal, wieviel die anderen Menschen haben. Nach dieser Maxime versuche ich auch ein Stück weit zu leben. Der Non-Egalitarismus funktioniert, so lange die Strukturen so beschaffen sind, dass man mit Anstrengung jede gesellschaftliche
Position erreichen kann, wenn man es denn will. Hierdurch wird auch der in Deutschland scheinbar so verbreitete Neid bekämpft.
Kann eine Gerechtigkeitstheorie Hilfestellung bieten, um Lösungen und Antworten auf aktuelle politische und wirtschaftliche Herausforderungen zu finden?
Theorien sind gut und schön. Man darf sich aber nicht hinter ihnen verstecken. Deshalb würde ich sagen: Sie können Hilfestellung geben. Gleichwohl müssen sie immer an die jeweilige reale Situation angepasst werden.
Man darf nämlich nie vergessen, dass jede Theorie auch ihre eigene Ideengeschichte hat, die nicht auf alle Situationen in Gegenwart und Zukunft übertragbar ist.
Ein „Vorwurf“ an ökonomische Theorien bezieht sich auf das ihnen zugrundeliegende Menschenbild des „Homo oeconomicus“. Inwiefern hat sich dieses gewandelt und brauchen wir ein neues Menschenbild?
Das Menschenbild des Homo Oeconomicus wird nicht von vornherein postuliert. In der rückschauenden Analyse erscheint es nur so, als ob die Menschen strikt nach ökonomischen Maßstäben – und manchmal auch ausschließlich nach ökonomischen Maßstäben – handeln. Mir wäre der Homo Culturalis ein Stück weit lieber. Auch dieser handelt nach wirtschaftlicher Vernunft. Er hat aber gleichzeitig auch den Blick für Kunst, Kultur, Natur, Landschaft etc. Der Nationalökonom und einstige Berater Ludwig Erhards – Wilhelm Röpke – hat diesen Menschentypus in seinen Schriften vornehmlich skizziert. Ein anderer Nationalökonom – Friedrich August von Hayek – sagte einst: „Wer nur etwas von der Ökonomie versteht, versteht selbst diese nicht.“ Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
Sie wirken als Referent und Publizist, haben Schriften und Diskussionsbeiträge bzw. Vorträge zu unterschiedlichen Themen verfasst und gehalten. Was macht den Kern Ihrer Arbeiten aus? Welche Themen beschäftigen Sie momentan besonders und welche gesellschaftlichen Problemfelder erachten Sie derzeit als relevant?
Sie haben die Themenfelder, mit denen ich mich befasse, ja schon ganz gut in Ihre Fragen integriert. Man kann wohl sagen, dass ich versuche, meine Schriften aus einer aufklärerischen und motivierenden Perspektive zu verfassen. Derzeit stehen aber natürlich Koalitionsverhandlungen im Bund an und da gibt es reichlich Themen. Gerade der gesetzliche und flächendeckende Mindestlohn ist ein Thema, mit dem ich mich zur Zeit leidenschaftlich beschäftige. Ich halte einen solchen Mindestlohn nämlich für problematisch. Die Kaufkraft von 8,50 Euro ist über das Bundesgebiet verteilt höchst unterschiedlich. Darüber hinaus sollten die Tarifparteien auf
Branchenebene auch weiter die Löhne frei aushandeln können, sofern sie sich auf Augenhöhe begegnen. So könnte man sich vielleicht in jeder Branche und in jeder Region auf Mindestlöhne verständigen. Wichtiger als Mindestlöhne sind Strukturen, die jedem einen individuellen gesellschaftlichen bzw. beruflichen Aufstieg ermöglichen. Sie sehen also: Der Kern meiner Arbeit besteht im Aufgreifen und Diskutieren aktueller Themen. Diese Themenfelder betrachte ich aber auch häufig aus einer historischen Perspektive. Man glaubt nämlich gar nicht, wie alt so manche Diskussion, die heute durch die Medien geistert, eigentlich schon ist. In nächster Zukunft wird man darauf achten müssen, dass man den Menschen nicht mehr nur als Teil von Statistiken sieht, mit denen sich die unterschiedlichen politischen Kräfte behaken. Die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen ist nämlich sehr viel komplexer als man einer Statistik entnehmen kann.
Interview: Kristina Weitkunat
Das Interview finden Sie auch hier im Original der „KASsiber 03/2013 bzw. barrierefrei hier.