Wie kann ich die Sozialen Medien strategisch für mich nutzen?
Viele Menschen, die sich politisch engagieren, stehen vor der Frage, wie sie Prozesse und Entscheidungen bestmöglich beeinflussen und eine möglichst große Öffentlichkeit für ihre Anliegen gewinnen können. Gerade für Menschen mit Behinderung kann es vorteilhaft sein, von einem festen Standort mit möglichst wenig Aufwand eine möglichst große Öffentlichkeit zu erreichen. Hierbei helfen die sozialen Medien im besonderen Maße.
Doch auch hier sind bestimmte Dinge zu beachten, damit Menschen mit Behinderung die sozialen Medien voll umfänglich nutzen können[1].
Menschen mit Behinderung stoßen im Alltag immer wieder auf Barrieren. Zumeist denken wir hierbei an bauliche Barrieren, insbesondere an fehlende Rollstuhlrampen oder Fahrstühle. Daneben gibt es aber eine Vielzahl von weiteren Barrieren, mit denen Menschen mit Behinderung in ihrem Alltag konfrontiert sind – zum Beispiel im Internet, sprich: Es gibt Internetseiten, die für bestimmte Nutzergruppen nicht zugänglich sind. Blinde oder sehbehinderte Menschen, Menschen mit motorischen Einschränkungen, Gehörlose oder kognitiv eingeschränkte Menschen können die Website oder einzelne Inhalte nicht verstehen oder gar nicht erst finden.
Dazu einige wenige Beispiele:
Blinde Menschen nutzen den Computer mit Hilfe einer Screenreader-Software. Diese wandelt den Bildschirminhalt so um, dass er von einer künstlichen Sprachausgabe vorgelesen und auf einer Braillezeile in Blindenschrift ausgegeben werden kann. Damit dies reibungslos funktioniert, müssen einige Regeln beim Erstellen der Website berücksichtigt werden. Grafiken oder Schaltflächen benötigen zum Beispiel einen im HTML hinterlegten Alternativtext. Dieser wird dann vom Screenreader ausgelesen. Der blinde Nutzer erfährt über diesen Weg, was auf einem Foto zu sehen ist. Fehlt dieser Alternativtext, gibt die Software lediglich den Namen der Fotodatei aus. Das ist häufig so etwas wie „2016_03_21_25416351.jpg“ und somit nicht aussagekräftig. Ein vergleichbares Problem tritt auf, wenn Schaltflächen nicht mit einem Alternativtext versehen sind. In diesem Fall gibt der Screenreader „unbeschriftet Schalter“ oder einfach nur „Schalter“ aus. Blinde Nutzer wissen dann nicht, ob es sich z.B. um den „Absenden“- oder den „Abbrechen“-Schalter handelt, was insbesondere bei Kontakt- oder Anmeldeformularen sehr ärgerlich sein kann.
Ebenfalls wichtig für blinde Nutzer ist eine im HTML ausgezeichnete logische Überschriftenstruktur. Der Screenreader kann dann ausgeben, ob es sich bei der Überschrift um eine der Ebene 1, der Ebene 2 usw. handelt. Somit wird dem blinden Nutzer schnell klar, was die Hauptüberschrift ist, und was Unterüberschriften sind. Zum anderen kann er diese mit einfachen Tastenkombinationen direkt ansteuern, was das Navigieren im Web enorm beschleunigen kann.
Sehbehinderte Menschen setzen zumeist weniger auf eine Sprachausgabe. Sie verwenden stattdessen häufig eine Vergrößerungssoftware. Mit dieser können sie den Bildschirminhalt stark vergrößern, die für sie relevanten Stellen heranzoomen und bei Bedarf Kontraste oder Farben so anpassen, dass sie die Inhalte der Website besser erkennen können. Hier ist von Seiten der Webdesigner darauf zu achten, dass die Seite frei skalierbar ist. Ist das nicht der Fall, können bestimmte Bereiche der Seite nicht angepasst werden. Sie sind damit für den sehbehinderten User unsichtbar.
Wie oben bereits erwähnt, betrifft Barrierefreiheit im Web aber nicht nur blinde und sehbehinderte Menschen. So sind auch Menschen, die aus motorischen Gründen keine Maus bedienen können, hierauf angewiesen. Viele von ihnen arbeiten ausschließlich mit der Tastatur. Sie springen zum Beispiel mit der Tab-Taste von Link zu Link. Hier ist es wichtig, dass auch alle Seitenbereiche per Tastendruck zugänglich sind und alle Aktionen mit der Tastatur ausgeführt werden können. Ist dies nicht der Fall, sind die betroffenen Nutzer von Anfang an ausgeschlossen.
All diese Barrieren müssen nicht sein. Es gibt Regeln für barrierefreies Webdesign. Diese sind in Deutschland zum Beispiel in der barrierefreien Informationstechnik-Verordnung (BITV-Verordnung) 2.0 festgelegt. Diese ist eine verbindliche Vorgabe für Bundeseinrichtungen. Die Bundesländer haben diese Vorgaben in der Regel in ihr Landesrecht übernommen, so dass auch Landesministerien und viele andere öffentliche Einrichtungen im Web bereits barrierefrei sind. An den BITV-Vorgaben sollten sich aber auch alle anderen Betreiber von Websites orientieren[2].
Soziale Medien
Wie wichtig es ist, vor allem auch die Sozialen Medien barrierefrei zu gestalten, erkennt man beispielsweise daran, dass sie Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit bieten, vorurteilsfrei und ohne schief angesehen zu werden mit der Welt in Kontakt treten zu können. Trotz zweifelsohne bestehender Barrieren stellen diese Sozialen Medien eine große Chance gerade für diese Zielgruppe dar. Es lohnt sich deshalb, sich mit sozialen Medien auseinanderzusetzen. Zum einen können sie den Zugang zu vielen Informationen schaffen, zum anderen können Menschen mit und ohne Behinderung hier ohne Berührungsängste, die es im realen Leben immer noch viel zu häufig gibt, miteinander ins Gespräch kommen.
Ohne finanziellen Aufwand können Themen, die einem am Herzen liegen, präsentiert werden; lediglich Zeit muss investiert werden. Social Media macht man nicht mal nebenbei. Will man die sozialen Medien halbwegs professionell nutzen – sei es in der Interessenvertretung oder der politischen Arbeit – braucht man ein strategisches Konzept. Sprich: Es stellen sich Fragen nach der Zielgruppe, die erreicht werden soll, nach den Botschaften, die man vermitteln möchte, nach den Mitteln und Maßnahmen (welche sozialen Medien sollen wie genutzt werden) und nach den eigenen Ressourcen. Auch bei sozialen Medien gilt: Weniger ist mehr. Besser, ein oder zwei Kanäle werden konsequent bespielt, als dass man sich im Wirrwarr des Internets verzettelt und nirgends richtig präsent ist.
Soziale Medien bieten die Möglichkeit, Nischenthemen inhaltlich zu besetzen, die es fast nie in die klassischen Medien schaffen. Das kann ein Blog zur eigenen Behinderung sein oder ein Forum zu einem seltenen Hobby, ein Wiki, in dem Betroffene ihr Wissen zu einer seltenen Erkrankung zusammentragen, ein Twitter-Account oder Facebook-Profil, auf dem es um Barrierefreiheit und Inklusion geht usw. Dank der Google-Suchmaschine ist jeder Internetnutzer weltweit nur einen Klick von diesen Angeboten entfernt.
Dabei ist es wichtig, die sozialen Medien nicht als Einbahnstraße zu verstehen. Es geht eben nicht nur darum, eigene Inhalte und Standpunkte zu veröffentlichen, sondern noch viel mehr um den Austausch mit den Lesern, Twitter-Followern oder Facebook-Freunden. Diese erwarten, dass sie mit den Profilbetreibern in den Dialog treten können. Wenn auf Kommentare nicht reagiert wird oder diese brüsk zurückgewiesen oder gar gelöscht werden, fällt dies schnell auf den Betreiber zurück. Auch wenn Kritik im Web manchmal hart ausfällt, so sollte sie dennoch als hilfreich wahrgenommen werden. Sie bietet die Chance, den eigenen Auftritt unmittelbar zu reflektieren, die persönlichen Standpunkte zu hinterfragen oder um die Anregungen aus der Leserschaft zu ergänzen. Das gilt selbstverständlich nicht für rechtswidrige Kommentare, die im eigenen Blog oder der eigenen Facebook-Chronik von Lesern hinterlassen werden. Sind diese gewaltverherrlichend, extremistisch oder kinderpornografisch, hat der Profil-Betreiber sogar die Pflicht, diese Inhalte zu löschen und ggf. zu melden.
Von diesen negativen Auswüchsen des WWW einmal abgesehen, stellen soziale Medien aber gerade für die politische Arbeit eine große Chance der Demokratisierung dar, die immer noch viel zu selten genutzt wird. Während zwar immer mehr Politiker gerade in Wahlkampfzeiten die sozialen Netzwerke für sich entdecken, nutzen viele Behinderten-Organisationen und Selbsthilfegruppen diese Möglichkeit noch zu selten Dabei ermöglicht das WWW einen ungefilterten Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Organisationen und Politikern. Der reichhaltige Fundus an Optionen sollte noch stärker genutzt werden.
Ihr Dr. Carsten Dethlefs
[1] Der folgende Text wurde verfasst von: Heiko Kunert, Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. Heiko Kunert war vor seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des BSVH für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins zuständig.
[2] Der BITV-Prüfverbund berät hierbei gern unter bitvtest.de.