Schon lange – nicht erst beim diesjährigen Treffen in Meseberg – raufen sich Politiker und unterschiedlichste Verbandsfunktionäre darüber die Haare, woher man angesichts des demografischen Wandels künftig die dringend benötigten Fachkräfte in Deutschland nehmen soll. So könnten bis zum Jahr 2025 bis zu drei Millionen Fachkräfte fehlen. Dieser Mangel könnte die Wirtschaft lähmen und die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmarkt negativ beeinflussen. Während die Gewerkschaften eine eher restriktive Haltung gegenüber der Zuwanderung qualifizierter Menschen aus dem Ausland haben, befürworten wirtschaftsnahe Gruppierungen diese. Auch die Erhöhung des Frauenanteils in den Betrieben wird als Mittel gegen den Fachkräftemangel gerne ins Feld geführt. Während sich in dieser Diskussion somit unterschiedlichste Meinungen gegenüberstehen, wird jedoch eine Gruppe vollständig vergessen, die ein ansehnliches Potential von Arbeits- und Fachkräften bietet – die Gruppe physisch behinderter Menschen. In Deutschland gilt nach dem SGB IX, 1, §2 jeder Mensch als behindert, wenn die „körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen“. Das statistische Bundesamt gibt für das Jahr 2011 eine Fallzahl von 7,3 Millionen schwerbehinderten Menschen für Deutschland an.
Würde man auch nur einen Teil dieser Arbeitskräfte, die oftmals noch voll dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, reaktivieren können, wieder in den Arbeitsmarkt re-integrieren, würde ein guter Teil der Probleme gelöst sein.
Die Politik der Behindertenverbände scheint Integration im Wege zu stehen
Neben vorherrschenden Vorurteilen und mangelnder Aufklärung scheint auch häufig die Verbandspolitik der betroffenen Gruppen einer schnellen und zielführenden Integration dieser Menschen in den Arbeitsmarkt im Wege zu stehen. Diese Verbände setzen nämlich oftmals eher auf eine passive Versorgung ihrer Mitglieder, denn auf Aktivierung dieses Potentials (ein Beispiel dafür, dass man doch mehr kann, als nur blind zu sein, finden Sie hier).
Dass sich der Arbeitsmarkt bei schwerbehinderten Menschen asymmetrisch zu dem bei nicht behinderten Menschen entwickelt, zeigen Statistiken der Arbeitsagentur.
Stellvertretend seien folgende Zahlen angeführt:
Laut Bundesagentur für Arbeit betrug die Zahl aller Arbeitslosen im April 2011 3.078.058. Darunter sind 183.491 schwerbehinderte Arbeitslose. Im Vergleich zu März 2011 waren im April 2011 insgesamt 132.283 oder 4,12 % weniger Menschen arbeitslos. Bei den schwerbehinderten Arbeitslosen sank der Wert um 2.543 oder 1,37 %. Gegenüber April 2010 gab es insgesamt 321.251 oder 9,5 % Arbeitslose weniger, bei schwerbehinderten Menschen stieg die Zahl im gleichen Zeitraum um 5.993 oder 3,4 %. Diese Entwicklung hat sich von der Tendenz seit jeher nicht verändert.
Warum kommt es aber zu einer solchen Verschwendung des Potentials? Nach Meinung des Verfassers geht es darum, dass viele Arbeitgeber nicht ausreichend über die kostenneutrale Beschäftigung von Mitarbeitern mit Handicap aufgeklärt sind. Dieses ist jedoch – insbesondere von den Interessensvertretungen dieser Menschen – einzufordern.
Wie nützlich eine bessere Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt sein könnte, zeigen auch die Abgaben, die Unternehmen ab einer bestimmten Größe zahlen müssen, wenn sie ihre Behindertenquote nicht erfüllen. Diese Abgabe ist zu zahlen von allen privaten und öffentlichen Arbeitgebern mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen. Sie ist zu zahlen, wenn nicht mindestens 5 % der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt sind (siehe SGB IX Teil 2 Kapitel 2, http://de.wikipedia.org/wiki/Ausgleichsabgabe). Statt also Ausgaben bei der Nichterfüllung dieser Quote zu haben, könnte man von der Leistungsfähigkeit behinderter Menschen profitieren und Einnahmen generieren.
Bei der Beschäftigung behinderter Menschen gibt es Hilfe
Bei der Beschäftigung behinderter Menschen gibt der Gesetzgeber auch Hilfestellung .
Der Verfasser möchte mit diesem Beitrag somit nicht der Einschränkung des Zuzugs von Fachkräften aus anderen Staaten das Wort reden, vielmehr ist eine positive und vorurteilsfreie Sicht auf noch unausgeschöpfte Potentiale hierzulande und anderswo einzufordern. Der Verfasser möchte mit diesem Beitrag eine Erweiterung des Blickwinkels aller Beteiligten liefern.
Er gehört selbst dieser Gruppe – der Gruppe blinder Menschen – an. Lassen SIe uns doch gemeinsam an der Aufklärung darüber arbeiten, welche Potentiale behinderte Menschen für die Gemeinschaft bieten können!
Dr. Carsten Dethlefs
3 Kommentare zu “Das ungehobene Potential der Arbeitskräfte”
Was genau ist mit „kostenneutraler Beschäftigung“ gemeint? Dass der Arbeitgeber die nötigen Hilfsmittel nicht selbst zahlen muss?
Ja, genau das ist damit gemeint.
Danke – ich finde das irgendwie missverständlich, es klingt fast, als sollte der Staat auch den Lohn bezahlen und man hätte einfach einen Arbeitnehmer, der einen nichts kostet.