Der Grund für diesen drastischen und politisch vollkommen unkorrekten Titel dieses Beitrags ist, dass es schlicht Parallelen zwischen der Zeit kurz vor Ende der Apartheit, kurz nach Ende der Apartheit und der Diskussion um Inklusion in der westlichen Welt gibt.
2005 reiste ich nach Südafrika und bekam sowohl von der Seite der weißen und der farbigen Bevölkerung einiges mit. Da hatte die schwarze Bevölkerungsmehrheit auf einmal Sonderrechte – wie die bevorzugte Einstellung bei Bewerbungen, das Recht, sich wegen jahrzehntelanger Unterdrückung in der Opferrolle zu suhlen und einiges mehr. Natürlich war das Apartheitsregime in Südafrika eine verbrecherische und Menschen verachtende Diktatur. Ähnlich wie bei Menschen mit Behinderung wurden hier Menschen wegen Merkmalen diskriminiert, für die sie nichts konnten. Dieses Unrecht sollte im Nachhinein durch viele gut gemeinte, in der Praxis aber erst recht Neid und Abgunst verursachende Gesetze gesühnt werden.
Bei Menschen mit Behinderung ist es so, dass diese auf jeden Fall zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden müssen, wenn sie sich beworben haben. Ansonsten steht theoretisch der Klageweg offen. Zudem meint man, zu diesen armen, putzigen Menschen immer nett sein zu müssen. Man duzt sie sogar extrem häufig, wie eigene Erfahrungen zeigen. Man hat riesengroße Angst, etwas politisch Unkorrektes zu sagen.
Zudem fühlt man sich als nicht behinderter Mensch extrem gut, wenn man dieser Klientel öffentlichkeitswirksam einen Gefallen getan hat. Ähnliche Mechanismen zünden bei netten Kirchen- oder Wohlfahrtsverbandstreffen, bei denen man sich vorwiegend Gedanken darüber macht, wofür man jetzt nochmal Spenden sammeln könnte. Damit haben sie ohnehin genug zu tun. Themen wie die strafrechtliche Verfolgung von Farbigen oder deren öffentlicher Schelte sind dagegen ohnehin tabu. Das Buch „Der Sumpf“ von John Katzenbach macht dieses Thema sehr plastisch.
Warum kann man nicht begreifen, dass hinter all den Merkmalen, die man selbst nicht zu verantworten hat, immer ein ganz normaler Mensch steckt? Natürlich benötigen Menschen mit Behinderung situationsbedingt tatsächlich Hilfe im Alltag. Vielleicht auch häufiger als Menschen ohne Handicap. Aber jeder Mensch – ob mit oder ohne Handicap – braucht ab und zu Hilfe. Da gibt es keinen Unterschied zwischen uns.
Besonders abartig wird die Diskussion, wenn man Angst vor Menschen mit Behinderung hat, die mehr erreicht haben als Menschen ohne Behinderung. Personen ohne Handicap fühlen sich dann oftmals extrem klein. Menschen mit Handicap – und das kann ich bestätigen – fühlen sich in diesen Situationen hingegen sehr groß. Wenn man diese Gefühlswelt auf Farbige oder Ausländer überträgt, haben wir sofort den vordringlichsten und verabscheuungswürdigsten Grund für Fremdenhass. Man wird selbst nämlich nicht größer, indem man andere kleinmacht.
Warum konzentrieren wir uns nicht auf das rote Blut, das in allen von uns fließt?
Warum konzentrieren wir uns nicht auf das rote Blut, das in allen von uns fließt, und weniger auf diese oberflächlichen Einkategorisierungen? Ich plädiere mit diesem Beitrag für eine Abkehr vom Schubladendenken, wie ich es auch bereits mit meiner Dissertation versucht habe.
Ihr Dr. Carsten Dethlefs