„Die blinde Gerechtigkeit“ so lautete die Überschrift eines Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über meine Promotion. Tatsächlich hatte ich mir als blinder Diplom-Kaufmann für meine Dissertation auch ein Gerechtigkeitsthema, nämlich „Soziale Gerechtigkeit in Deutschland„, gewählt. Behinderte Menschen – so die gängige These – werden besonders deshalb Juristen, weil sie sich am ehesten ungerecht behandelt fühlen. Das allerdings war bei mir so.
Dass die Göttin Justitia ihre Augen verdeckt, spricht allerdings Bände. Auch in Deutschland gibt es einen sehr berühmten Richter, der ebenfalls blind war. Ich spreche von Dr. Hans-Eugen Schulze. Schulze war nämlich trotz – oder vielleicht auch wegen – seiner Blindheit Richter am Bundesgerichtshof.
Im Jahr 1922 wurde Schulze in Wanne-Eickel geboren. Er war seit frühester Kindheit blind. Zunächst besuchte er die Blindenschule in Soest und wurde dort Ende der 1930er Jahre zum Stuhl- und Mattenflechter, zum Telefonisten und Stenotypisten ausgebildet. Als Stenotypist führte ihn sein Weg Anfang der 1940er Jahre zunächst zum westfälischen Blindenverein in Dortmund, dann als Justizangestellten zum Landgericht Dortmund. Nebenher bereitete er sich weiter auf den Eintritt in eine weiterführende Schule vor. 1945 absolvierte Schulze dann sein Abitur; von 1945 bis 1948 konnte er in Marburg Rechtswissenschaften studieren. Zudem arbeitete er nach dem Krieg als Blindenschriftlehrer für Kriegsblinde. Im Jahr 1949 legte er die Erste und 1951 schließlich die Zweite juristische Staatsprüfung ab, um im Mai 1951 an der Universität Münster zu promovieren. Seither bekleidete er bis zu seinem Tod 2013 eine Vielzahl von Ehrenämtern.
Was dieses Beispiel nur einmal wieder zeigt, ist, dass man es auch aus schwierigsten Umständen heraus zu etwas bringen kann. Jura war nie mein Fachgebiet. Aber auch ich merke, dass man sich wohl von Äußerlichkeiten leicht täuschen lassen kann. Denn oftmals ist es schon geschehen, dass ich Leute durchschaute, bevor es meine sehenden Mitmenschen taten. Auch aus diesem Grund mag Jura für blinde Menschen ein sinnvolles Fach sein. Ich fühle mich aber auch als Ökonom ganz wohl.
Ihr Dr. Carsten Dethlefs